Roman

 

Taschenbuch

128 Seiten

2. Auflage Nov. 2017

ISBN 9978-3-9524845-0-0

 

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Andres Muhmenthaler

Zart besaitet

 

«Zart besaitet» spielt im geschichtsträchtigen Berner Seeland und erzählt die ungewöhnliche Lebensgeschichte von Kurt Marolf. Dieser gerät in immer grösser werdende seelische Nöte. Er fühlt sich als Versager und kommt zur Überzeugung, in den entscheidenden Momenten ­seines Lebens immer den falschen Weg gewählt zu haben. Wohnt da eine fremde Seele in mir? fragt er sich. ­Immer mehr Indizien sprechen dafür, dass er in der Urzeit und im ­Mittel­alter schon einmal hier im Seeland gelebt hat. Weder der Psychiater noch die Gedächtnistomographie seines Forscher-Freundes bringen Erkenntnis über den Ursprung seiner immer gleichbleibenden und ins Verderbnis führenden Verhaltensmuster. Der zart besaitete Kurt spürt, dass einzig die Wiederkehr seiner verschollenen Jugendliebe und seelenverwandten Amélie ihm bei der Suche nach sich selbst weiterhelfen ­könnte. Vielleicht würde es ihm dann gelingen, das Geheimnis des stummen Engels, welcher ihm  immer öfter in seinen Träumen erscheint, zu lüften.

Leseprobe

«Weiterspielen, nicht aufhören... meine Musik, ihre Musik, weiterspielen, nicht ausschalten... Seit rund zwei Tagen flüstert er diese immer wiederkehrende Litanei nun vor sich hin. Es ist ein klares Indiz dafür, dass Ihr Mann nun bald aufwachen wird, Frau Marolf. Er hat ein Riesenglück im Unglück gehabt und wird wohl nur geringe bleibende Schäden davontragen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er nun schon fast fünf Wochen im Koma liegt, nicht wahr? Der Armbruch ist eine Bagatelle und...»

Wer spricht da? Wo bin ich? Sprechen diese Menschen über mich? Was ist geschehen? Warum kann ich meine Augen nicht öffnen? Träume ich? Warum höre ich ununterbrochen diese Musik, diese Melodie?, fragte ich mich damals, als diese Stimmen gedämpft durch den Vorhang des trägen Aufwachens an mein Ohr drangen.

«Kurt, hörst du mich?», fragt eine Frauenstimme. «Kuschi, ich bin es, Monika, deine Frau. Willst du nicht versuchen, die Augen zu öffnen? Alles kommt gut, hat der Chefarzt gesagt.» Hat diese Frau mich gemeint? Ich kenne doch gar keine Monika? Ihre Stimme klingt mir fremd. Warum gelingt es mir nicht mal, meine Augen zu öffnen?

«Geben Sie ihm Zeit, Frau Marolf. Er wird sich vorsichtig an das helle Licht gewöhnen müssen, und erschrecken Sie nicht, wenn er Sie beim Aufwachen nicht mehr kennt. Nach einer so langen Komaphase braucht das Gehirn manchmal Wochen, wenn nicht gar Monate, bis es wieder voll und ganz funktionsfähig ist.

Insbesondere das Gedächtnis kann anfänglich stark beeinträchtigt sein. Den Erinnerungsprozess wird Doktor Freiburghaus, den Sie und Ihr Mann anscheinend aus der Jugendzeit kennen, begleiten. Es ist ein Glücksfall, eine solche Koryphäe im Haus zu haben. Er wird sich wenn nötig um Ihren Mann kümmern. Bei ihm wäre er in den besten Händen, glauben Sie mir.»

Der Chefarzt sollte recht behalten. In den folgenden Tagen gelang es mir, aufzuwachen, meine Augen zu öffnen und wieder gehen zu lernen. Ich wurde in die Reha-Abteilung verlegt und begann mit verschiedenen Therapien. Mein Erinnerungsvermögen blieb jedoch lange sehr stark beeinträchtigt. Das Bild, das ich von mir bekam, setzte sich in erster Linie aus den Erzählungen meiner Besucher zusammen. Zudem verunsicherten mich die intensiv einsetzenden Tag- und Nachtträume.  Monika hat mir viel über unser Leben erzählt. Auch die zwei jungen Erwachsenen, welche sich als meine Kinder Lisa und Fabian ausgaben, kamen mich oft besuchen. Anhand ihrer Erzählungen kamen vage Erinnerungen aus dieser scheinbar guten Phase meines Lebens auf. Ich sah mich zum Beispiel Märchen erzählend an Lisas Bett sitzen oder mit Fabian im Garten Fussball spielen. «Du warst uns ein guter Papi und in der Schule ein ganz beliebter Lehrer», versicherten sie mir mehrmals. Und Lisa fragte mich unter Tränen und unter Liebesbezeugungen: «Warum in Gottes Namen wolltest du dich umbringen?»

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